PHOTO­GRAPHIE UNTER­WEGS MIT PETER HAMEL

IM RAUSCH DER GEZEITEN

Das Meer ist seine Muse. Wenn sich Peter Hamel mit der Cessna über die Nordsee erhebt, entstehen dabei impressionistische Flugaufnahmen von einem Model, das sich selbst immer wieder neu erfindet: das Weltnaturerbe Wattenmeer.

“Sensationell!” Peter Hamel dreht den Wetterbericht im Autoradio lauter. Hoch Otto meint es heute gut mit ihm. “Sensationell”, wiederholt der Fotograf sichtlich erleichtert. “Das Schmuddelwetter hat sich aufgelöst. Wir haben perfekte Flugbedingungen!” Dann klingelt sein Handy. Der Pilot erkundigt sich nach dem Verbleib des Fotografen. “Wir sind so gut wie da”, versichert Hamel. “Ich kann die Küste quasi schon riechen. Wegen der Gezeiten sollten wir um 17.30 Uhr starten, gegen 20 Uhr ist Niedrigwasser. Kommen wir mit dem Benzin hin? Prima. – Alles klar, bis gleich!” Es klingt, als hätte Peter Hamel alles perfekt geplant. “Ach was”, lacht der 56-jährige Hamburger. “Ich habe überhaupt keinen strikten Plan. Unterwegs zu sein im Wattenmeer ist für mich wie das Flanieren in einer Stadt: Du bewegst dich einfach drauflos, siehst etwas, fliegst hin und beginnst, es einzukreisen. Du lässt dich von deinem Blick leiten.” Sein einziger fester Plan – neben einer ungefähren Flugroute – ist eigentlich nur einer: “Ich möchte sensationell gute Bilder machen. Dazu lasse ich mich treiben. Es entwickelt sich. Alles ist in Bewegung. Wie das Meer.” Wenn Peter Hamel über das Fotografieren sinniert, sprudelt die pure Freude aus ihm heraus. Sein Lieblingswort: Sen-sa-tio-nell! Der studierte Germanist genießt jede Silbe.

Bilder statt Worte

Eigentlich wollte Peter Hamel ein Mann der Worte werden, doch dann wurde er ein Mann der Bilder. Ein exzellenter Abschluss, ein Promotionsstipendium, erste wissenschaftliche Veröffentlichungen – der Universitätskarriere stand nichts mehr im Wege. Fast nichts. Wäre da nicht seine Leidenschaft für Fotografie gewesen. Dieses Kribbeln, das er schon als kleiner Junge verspürt hatte, als er im Schuppen des Dorffotografen Schwarzweiß-Aufnahmen aus den 20er-Jahren entdeckte. Dieser Rausch, der von ihm Besitz ergriff, als er mit der Agfa Isolette seiner Eltern auf Bildersuche ging. Dieser Glanz in seinen Augen, als Mathelehrer Meier von seinen Abenteuern als Landschaftsfotograf erzählte. Während die Klassenkameraden fröhlich vor sich hin pubertierten, besuchte der 13-jährige Peter den Fotokurs von Herrn Meier, starrte gebannt auf die Mattscheibe der Rollei in seinen Händen, belichtete Kräne und Stahlrohre aufs Papier.

Links: Peter Hamel mit seiner Assistentin Wiebke vor der Cessna 182. Rechts oben: Der Fotograf spielt “Figurenlesen” mit seiner Lieblingsinsel Lütje Hörn: ein Embryo oder doch eher ein gekrümmter Delfin? Rechts unten: Der Porträtist der Nordsee bei der Arbeit – immer auf der Suche nach faszinierenden Farben- und Formenspielen. (Fotos: links undrechts oben: Jana Kühle, rechts unten: Wiebke Pätz)

Ende der 60er schwärmte er für Ernst Haas, Francis Giacobetti, Sam Haskins, Guido Mangold. Und wenn er sich nicht gerade in der Bibliothek verkroch und an seiner wissenschaftlichen Laufbahn arbeitete, hing der Student mit dem Auge hinter dem Sucher. Irgendwann aber war er gekommen, der Tag, an dem Peter Hamel Stift und Bücher endgültig beiseitelegte. Von nun an war er komplett in seinem Element. “Meine ersten Flugaufnahmen habe ich vor mehr als 20 Jahren für einen Ostsee-Bildband und für einen Bitburger-Kalender gemacht”, erinnert sich Hamel. Doch obgleich sich der Naturfreund eigentlich dann am wohlsten fühlt, wenn er von einem kleinen Inselberg auf den Ozean hinabschaut oder im Flieger sitzt und ein Rendezvous mit dem Meer hat: Sich komplett der Landschaftsfotografi e zu verschreiben, das wäre dem Allrounder dann doch zu langweilig. “Dazu mag ich Menschen einfach viel zu sehr. Ich liebe People-Fotografie. Schließlich brauche ich hin und wieder mal einen richtigen Klönschnack.”